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Fakultät Physik

Neutrinos aus der Milchstraße

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© ICECUBE Kollaboration

Mit dem bloßen Auge betrachtet, ist die Milchstraße ein milchig weißes Band, das sich einmal quer über den gesamten Himmel erstreckt. Benutzt man andere Instrumente als die eigenen Augen, stellt man fest, dass unsere eigene Galaxie in jedem Wellenlängenbereich anders aussieht. Für Wissenschaftler:innen sind diese Unterschiede immens wichtig, weil auf diese Weise Informationen über die Struktur der Milchstraße gefunden werden können. Eines aber haben alle bisherigen Beobachtungen der Milchstraße gemeinsam: Sie benutzen Photonen zur Beobachtung. Doch das muss nicht so sein. Wissenschaftler:innen der TU Dortmund haben gemeinsam mit ihren internationalen Kolleg:innen nachgewiesen, dass die Milchstraße auch noch mit Hilfe anderer Teilchen beobachtet werden kann: den Neutrinos.

Der Ursprung der kosmischen Strahlung ist ein Mysterium, das die Physik schon seit über 100 Jahren antreibt und um die sich mit der sog. Astroteilchenphysik ein relativ junges wissenschaftliches Teilgebiet entwickelt hat. Um dieses Rätsel zu lösen, setzen die Physiker:innen auf unterschiedliche Botenteilchen, unter anderem auf hochenergetische Gammastrahlung und Neutrinos. 

“Die Milchstraße ist eine bekannte Quelle für hochenergetische Gammastrahlung und enthält darüber hinaus potentielle Quellen der kosmischen Strahlung", sagt Professor Wolfgang Rhode, Leiter der bei der Entdeckung federführenden Arbeitsgruppe an der TU Dortmund.  “Da Gammastrahlung und Neutrinos in denselben physikalischen Prozessen erzeugt werden können, ist die Milchstraße und insbesondere die galaktische Ebene schon seit langem ein potentieller Emitter hochenergetischer Neutrinos.” 

Der Nachweis dieser astrophysikalischen Neutrinos ist allerdings alles andere als trivial und die Liste der Herausforderungen lang. Da wäre zum Einen die geringe Wechselwirkungswahrscheinlichkeit der Neutrinos, die über sehr große Detektoren aufgefangen werden muss. Einer dieser Detektoren ist das IceCube Neutrino-Observatorium, das ein Volumen von einem Kubikkilometer mit mehr als 5000 Photosensoren instrumentiert hat. Zum Anderen wäre da der überwältigende Untergrund an atmosphärischen Myonen und Neutrinos. IceCube, ein Neutrino-Observatorium am Südpol mit einem instrumentierten Volumen von einem Kubikkilometer, registriert für jedes astrophysikalische Neutrino 100 Millionen Myonen aus der Erdatmosphäre. Hinzu kommt, dass der Großteil der Neutrinos aus Richtung der Galaktischen Ebene vom Südhimmel erwartet wird, was die Reduktion des Untergrundes weiter erschwert.

“Um diesen neuartigen Weg zur Beobachtung der Milchstraße dennoch erfolgreich beschreiten zu können, benötigt man Methoden aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz. Tiefe neuronale Netze zum Beispiel”, sagt Dr. Tim Ruhe, Astroteilchenphysiker und Data Science Experte an der TU Dortmund. “Neuronale Netze haben, sobald sie einmal trainiert sind, eine vergleichsweise kurze und vor allem stabile Laufzeit und können daher in der Analyse bereits frühzeitig eingesetzt werden.” Ein deutlicher Vorteil gegenüber anderen Methoden. Die eingesetzten KI-Methoden wurden über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren unter anderem in einem Projekt des Sonderforschungsbereiches 876 unter der Leitung von Katharina Morik, Wolfgang Rhode und Tim Ruhe entwickelt. 

Im Rahmen der Analyse von Neutrinos werden sie unter anderem für die Rekonstruktion von Energie und Richtung der Teilchen sehr erfolgreich eingesetzt. “Durch die verbesserten Methoden haben wir etwa 20-mal mehr Neutrinos mit einer um einen Faktor zwei verbesserten Winkelauflösung in unserem finalen Datensatz. Für die Analyse bedeutet das, dass wir etwa dreimal so sensitiv sind.", sagt Mirco Hünnefeld, Promotionsstudent an der TU Dortmund und einer der für den Erfolg der Studie maßgeblichen Wissenschaftler. 

“Wir haben in den letzten zwölf Jahren viele verschiedene Algorithmen ausprobiert”, bestätigt Prof. Katharina Morik. “Immer mit dem Ziel möglichst viele Neutrinos zu detektieren. Schlussendlich hat ein neuronales Netz uns eine Analyse mit wirklich beeindruckender Präzision beschert.”

All diese Erfolge sind für eine Beobachtung von Neutrinos aus der Milchstraße noch nicht ausreichend. Der Großteil der Ereignisse im finalen Datensatz (etwa 84%) besteht aus atmosphärischen Neutrinos. Um dennoch ein Signal extrahieren zu können, kommen an dieser Stelle statistische Methoden zum Einsatz, mit denen der Untergrund auf Basis der Daten selbst abgeschätzt und potentielle Unsicherheiten in der Modellierung vermieden werden können. Anschließend wird die Wahrscheinlichkeit bestimmt, mit der es sich bei dem beobachteten Signal um eine zufällige Fluktuation handelt. Diese liegt in diesem Fall bei weniger als  0,001%. 

Obwohl die aktuell zur Verfügung stehenden Ereignisse nicht ausreichen, um einzelne galaktische Quellen als Neutrino-Emitter zu identifizieren, war die KI-gestützte Suche nach Neutrinos aus Richtung der galaktischen Ebene außerordentlich erfolgreich. Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen, dass unser Verständnis der Milchstraße, insbesondere im Hinblick auf die Propagation der kosmischen Strahlung, korrekt ist. Und sie öffnen ein neues Beobachtungsfenster in unsere eigene Galaxie.